TV-SERIE: USA, 2001
Regie: Jon Cassar, Brad Turner, Stephen Hopkins u.a
Darsteller: Kiefer Sutherland, Mary Lynn Rajskub, Carlos Bernard, Dennis Haysbert, James Morrison
Billigste Kriegs- und Antiterror-Propaganda direkt von der US-Regierung oder doch eines der "Serienwunder", die die amerikanischen Pay-TV-Stationen in den letzten Jahren so zahlreich hervorgebracht haben? Die Meinungen von Publikum und Kritikern gehen in den USA und Europa ziemlich weit auseinander.
KRITIK:Seit 23.6.2008 läuft auf Pro7 die bereits 6. Staffel einer der in Europa meist geächteten US-Actionserien:
24.
Sorgte zu Beginn der 1. Staffel noch das - zweifelhaft innovative -
Echtzeit-Konzept der Serie für Aufsehen,
wurde dies zumindest in unseren Breiten sehr schnell von Pauschalurteilen wie
"Werbung für den Krieg gegen den Terror" abgelöst.
Große Lobesworte gab es kaum wo zu hören und so vegetierte 24
mit Kellerquoten irgendwo auf Garagenfernsehsendern vor sich in.
Für die 6. Staffel schien sich lange überhaupt kein Sender zu finden, der sie ausstrahlen wollte.
Überraschenderweise schlug Pro7 zu.
Immerhin - eine kleine aber feine Fangemeinde hatte sich auch hier aufgebaut. Alles Kriegstreiber und Bush-Fanboys?
Liest man die üblichen Plotbeschreibungen der Staffeln, liegt der Verdacht gar nicht mal so weit weg: einmal sinds die Russen, einmal die Araber - die bösen Ausländer wollen alle die USA vernichten. Atombomben, Giftgas und Attentatsserien sollen auf das Land Gottes nur so herunterregnen. Aber zum Glück gibt es Jack Bauer und seine fiktive Antiterroreinheit CTU, die gemeinsam mit dem Präsidenten ihren ganz persönlichen Krieg gegen den Terror führen. Wer gefoltert werden muss, wird gefoltert, ist ja alles nur für unsere Sicherheit! Hoch lebe der amerikanische Pistolenheld!
Wer das liest, wird wohl wirklich lieber die Finger von der Serie lassen. Und schaut man dann doch mal in die ersten 1, 2 Folgen rein, sieht man all seine Befürchtungen bestätigt. Jeder Araber ein Terrorist, macht sie alle platt!
Doch wie so oft reicht ein kurzer Blick nicht, um ein faires Urteil zu fällen.
Selten wurde einer Serie so unrecht getan wie 24.
Denn eines der grundlegenden Konzepte dieser Action-Serie ist die absolute Holzhammermethode
in Sachen "nichts ist wie es scheint":
Die Ursachen des Terrors liegen plötzlich im eigenen Land, hochrangige Politiker ziehen Verschwörungen
auf, um den Verdacht auf ausländische Terrororganisationen zu lenken,
um in den USA die Waffenlobby zu unterstützen oder ihre eigenen politischen Absichten durchzusetzen.
In der gerade angelaufenen Staffel 6 wird bereits versucht, aufgrund von Serienattentaten Internierungslager für alle nicht-amerikanischen Staatsbürger durchzusetzen.
Schon aufgrund des letzten Beispiels sollte klar sein, dass 24
keine Werbung für solchen Wahnsinn machen will. Auch wenn die Überraschungswendungen
oft gar allzu zahlreich sind und viel zu oft auch die Grenzen der Glaubwürdigkeit überschreiten -
diese Serie zeigt jedem, der es sehen will eine sehr differenzierte Sicht auf aktuell große Themen wie Antiterrorkampf, Folter oder das Wegsperren von Menschen in gesetzlosen Gefangenenlagern.
Staffel 6 hatte hier einen sehr starken Start: ein arabischer Fahrgast mit Rucksack wird vom Busfahrer nicht mitgenommen, er beäugt ihn nur misstrausich und verachtend. Wenig später fliegt der selbe Bus durch einen Selbstmordattentäter - ein Asiate - in die Luft.
Die seit Wochen laufenden Attentatsserien verursachen mittlerweile Anarchie, Amerikaner machen regelrecht Jagd auf andere Kulturen. Nur einmal werden wir Zeuge, wie sich ein mutiger Amerikaner zwischen zwei selbsternannte "Patrioten" und einen jungen Mann aus dem nahen Osten stellt. Doch wie sich gerade hier herausstellen wird, handelt es sich bei dem unscheinbaren Jungen in der Tat um einen Terroristen - schon wenig später wird er einem Nachbarsjungen eine Pistole vors Gesicht halten und sagen: "Du willst mein Freund sein und kannst noch nichtmal meinen Namen richtig aussprechen!".
Die Autoren von 24 sind sehr stark darin, kritisch aber nicht einseitig Probleme zu betrachten.
Sie vor allem nicht tendenziös zu beurteilen.
Klar, die Vorstellung von Internierungslagern ist eine ganz klare Warnung der Autoren vor dem Wahnsinn,
der sich aus den ohnehin schon abstrusen Sicherheitseskapaden der amerikanischen
aber auch europäischen Regierungen entwickeln könnte.
Hauptsache sicher und wer nichts getan hat, hat auch nichts zu befürchten -
höchstens mal kurz ins Internierungslager, eigentlich wie Urlaub und das Essen wird ja bezahlt.
Doch man sieht in vielen anderen Szenen, vor allem beim Thema Folter,
dass man dem Action-Publikum gerne zwei Bilder zum Nachdenken servieren würde.
Natürlich führt Folter manchmal zu der Information, die man braucht.
Vielleicht kann die auch viele Menschenleben retten. Doch rechtfertigt das Folter? 24
gibt hier kein Statement ab, sondern will an der Figur Jack Bauer zeigen, was Folter anrichtet:
mehr als einmal im Verlauf der vergangenen Staffeln foltert er völlig Unschuldige,
zerbricht sein Leben daran dass er einen Bekannten seiner Freundin fälschlicherweise
für einen Terroristen hält und ihn zum Reden bringen will.
Lässt er sogar einen Freund sterben, weil er die Ärzte zur Wiederbelebung eines Terroristen braucht, der eventuell nützliche Informationen haben könnte
Überhaupt ist das Abwägen von Menschenleben ein ganz zentrales Thema bei 24 - und auch hier wird das Urteil dem Zuschauer überlassen. Einer für 100? Einer für 1000? Einer für eine ganze Stadt? Nach 5 Staffeln ist mittlerweile so ziemlich jedes Szenario durch. Und doch fragt man sich selbst: wie würde ich entscheiden? Und man hat keine Antwort darauf. "Ich werde das Gott sei Dank nie entscheiden müssen, ab ins Bett!" - 24 wird einem nächste Woche aber wieder daran erinnern.
Wie viel Substanz hat das Ganze aber jetzt wirklich? Ist 24 gar eine Actionserie für Intellektuelle?
Ganz klar: Substanz fehlt, intellektuell ist etwas anderes. Es ist eine Action-Serie, und als solche bedient sie sich auch Mittel, die der reinen Dramatisierung und Überspitzung dienen. Vorangeganene Beispiele zeigen, dass 24 wider seinem Ruf alles andere als eine Propagandaserie für den Antiterrorkrieg ist und viel mehr alles daran in Frage stellt - doch tut sie das auf einem sehr oberflächlichen Niveau. So, dass der durchschnittliche Actionserien-Fan auch etwas damit anfangen kann. Tiefgründigere Szenen wie jene mit dem vom Busfahrer stehengelassenen Araber sind so konzipiert, dass man sie auch mit abgeschaltenem Großhirn versteht. Wer etwas tiefer blicken will, kann es aber tun und findet einen Spiegel der gesamten amerikanischen Gesellschaft darin.
Im Weißen Haus wird auch eher Wirtshauspolitik gemacht - wichtig ist dass die Story rüberkommt und man die eine oder andere Botschaft transportieren kann. Würden Entscheidungsvorgänge und Diskussionen im Weißen Haus tatsächlich so banal und oberflächlich ablaufen wie in 24, wäre ... nun, wohlwahr, vielleicht tun sie das ja wirklich.
Also kein Antiterrorwerbespot, aber auch keine Intelektuellenparty. Es ist eine Actionserie ... die sollte dann also zumindest spannend sein. Wie sieht es da aus?
Nun, 24 hatte einen unglaublich starken Start - die erste Staffel lebte von der Auseinandersetzung zwischen Senator David Palmer und seiner Frau, der Handlungsstrang zum Attentat auf dieselbe Person geriet da häufig sogar in den Hintergrund. Dennis Haysbert verkörperte hier Palmer und hat in ihm die Rolle seines Lebens gefunden. Seine Präsenz am Bildschirm war atemberaubend, ein Musterbeispiel für einen Charakter, mit dem man sich identifizieren kann.
Das Echtzeit-Konzept war "nett", fiel aber in Wahrheit gar nicht auf. Der exzessive Gebrauch von multiplen Splitscreens hingegen schon. Was in späteren Staffeln mehr Pflicht den Stilmittel wurde, war in den ersten Staffeln noch ein wahres Spannungsdoping. Wenn gegen Ende einer Folge die Handlungsstränge beginnen zusmamenzulaufen und allesamt gleichzeitig am Bildschirm zu erkennen waren, war schon fast Gänsehautstimmung angesagt. Sie wurden vor allem geschickt für Szenen genutzt, die für sich allein vermutlich ein Fall für den Cutter gewesen wären. Nachdenkende Personen, tickende Timer die man sonst nie so lange im Bild sehen würde ... und wenn man den Zuschauer auf ein bestimmtes Bild aufmerksam machen wollte, wurde es einfach leicht größer gezoomt, während die anderen kleiner wurden - Gotcha!
Ein wunderbares Stilmittel, das sich leider in 24 wie auch in und für anderen Produktionen schnell inflationär abnutzte.
Das auf die Spitze treiben der Spannung ist sicher die zentrale Stärke von 24. Eine Schwäche ist vor allem in Staffel 1 die überpräsente Elisha Cuthbert inklusive ihrer Mutter - eigentlich nur nervig und überflüssig. Doch der "Familien-Handlungsstrang" wird im Verlauf der Staffeln zusehends stärker und ein sehr zentrales Element der Charakterzeichnung von Jack Bauer, so mag man dies rückblickend vielleicht verzeihen.
Staffel 2 war dann ein absoluter Leckerbissen an Spannung und konnte die erste nochmal deutlich überbieten. Dass David Palmer mittlerweile Präsident war, war ein besonders wichtiger Faktor. Da hatten Dialoge und Handlungen im Weißen Haus noch Glaubwürdigkeit und Prägnanz - im Gegensatz zur später einziehenden und schon erwähnten Wirtshauspolitik und -diplomatie. Palmer (wers nicht weiß, übrigens ein Schwarzer) wurde als der perfekte Präsident geschrieben und Haysbert konnte diese Rolle so perfekt ausfüllen, wie man es sich nur vorstellen konnte.
Doch die Staffeln 3 bis 5 (bzw. zumindest 4 und 5) waren schließlich aufgrund der vorangegangenen Staffeln eine Enttäuschung - zwar wurde mehr darauf gesetzt, Inhalte und nicht nur Action zu transportieren. Doch war hier schon das Sterben wichtiger Charaktere voll im Gang. Zwar macht es 24 einzigartig, dass man quasi jederzeit mit dem Tod eines jeden Charakters rechnen muss (bis auf Bauer selbstredend), doch hat 24 den Aderlass an großartigen Darstellern nicht verkraftet. David Palmer ging verloren genauso wie eine Nina Meyers, Tony Almeida, oder Mike. Nur einmal gelang den Autoren eine kongeniale Nachbesetzung: Mary Lynn Rajskub als Chloe O'Brian. Mit ihrer absolut todkomischen Mimik spielt sie eine CTU-Agentin, die in absolut keiner Situation ein Gefühl für das hat, was sie sagt - sie sagt einfach alles, was sie denkt und hat für jede Aussage auch noch die passende Grimasse auf Lager. Herrlich.
Trotzdem hat 24 an Reiz verloren. Auch wenn man schließlich einen feigen, beeinflussbaren Idioten auf den Präsidentenstuhl setzt und dadurch neues Konfliktpotential für Nebenhandlungsstränge schafft - und natürlich eine gewisse Querverbindung zu aktuellen Präsidenten herstellen will - der Eindruck, dass es Jack Bauer überhaupt nur noch mit Pfeifen oder Verrätern zu tun hat, ist nicht gerade sehr reizvoll. Palmer war der Garant dafür, dass 24 auch über Dialoge Inhalte transportieren konnte, mit Charles Logan als Präsident ging ein sehr zentraler Gesprächspartner für Jack Bauer wie auch alle anderen Charaktere verloren.
Trotzdem darf man President Charles Logan zumindest für eine Szene dankbar sein: als sich David Palmer von ihm mit den Worten "Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen" verabschiedet. Welch herrlich brisanter Hieb (nicht nur) in die Richtung des fiktiven amtierenden Präsidenten.
Staffel 6 hatte nun allerdings wieder einen sehr starken Beginn und lässt hoffen, dass man an frühere Qualitäten auch ohne die vielen fehlenden, tragenden Figuren früherer Staffeln anschließen kann. Zwar wurde bereits in den ersten beiden Folgen wieder dicker aufgetragen, als es gut ist - in jedem Fall aber gefällt mir bisher sehr die Auseinandersetzung mit Vorurteilen, Fremdenhass und Sicherheitswahn. Und der weitere Beweis, dass 24 selbst leider unter europäischen Vorurteilen gegen amerikanische Action-Produktionen zu leiden hat.
Die innovativen Elemente der Serie in Sachen Schnitt, Kamera und Konzept sind längst verblüht, trotzdem ist 24 nach wie vor ein Garant für einen spannenden und nicht allzu geistig herausfordernden Fernseh-Feierabend. Zusätzlich thematisiert 24 für eine amerikanische Action-Produktion erstaunlich viele heikle Themen - oft leider etwas banal und auch zu offensichtlich auf aktuelle Ereignisse abzielend. In jedem Fall aber weniger peinlich und halbherzig wie in Kinoproduktionen aus Hollywood. Wer bisher also 24 aus Angst vor amerikanischer Antiterrorpropaganda fern blieb, darf ruhig mal reinsehen. Auch schauspielerisch ist einiges interessantes dabei wie z.B. Haysbert oder Rajskub - nein, nicht Kiefer ;-). Wer Actionserien mag, hat ohnehin sonst seit Jahren nicht viel Auswahl.