OT: 1. Mai
EPISODENFILM: D, 2008
Regie: Jan-Christoph Glaser, Carsten Ludwig, Sven Taddicken, Jakob Ziemnicki
Darsteller: Cemal Subasi, Benjamin Höppner, Jacob Matschenz, Ludwig Trepte, Peter Kurth
Wie man den "Ersten Mai in Kreuzberg" erlebt, ist wohl vom jeweiligen demographischen Umfeld abhängig. Der elfjährige Türke Yavuz beispielsweise möchte im Zuge der Krawalle gerne einen Bullen plattmachen. Der betrogene Bulle Uwe wiederum will das allgemeine Chaos nutzen um sich in einem Bordell auf bessere Gedanken zu bringen. Dagegen sehnen sich die beiden Kleinstadtjugendlichen Jacob und Pelle vordergründig nach einer Portion Abenteuer...
1. MAI (für ÖsterreicherInnen: 1. MAI - HELDEN BEI DER ARBEIT) ist ein sogenannter Episodenfilm, dessen Handlungslinien Yavuz, Uwe und Ausflug von drei verschiedenen Teams realisiert wurden. Dieses Konzept erinnert zwar ein wenig an FOUR ROOMS, unterscheidet sich aber insofern von dem vielerorts als Kultfilm geltenden Streifen, als dass die einzelnen Teile nicht die "Reise" eines einzelnen Protagonisten zeigen, sondern quasi mehrere verschiedene Plots durch Parallelmontagen (zumindest dramaturgisch) zu einer diegetischen Einheit verbunden werden. Narrativ vollzieht sich diese Vereinigung - ein Spoiler den ich mit gutem Gewissen wagen kann - durch das Enden der einzelnen Episoden im Urbankrankenhaus Kreuzberg.
Das Verweben der drei unterschiedlichen Storylines für die sich Jan-Christoph Glaser u. Carsten Ludwig (Ausflug), Sven Taddicken (Yavuz) und Jakob Ziemnicki (Uwe) verantwortlich zeigen, funktioniert erstaunlich gut. Erzähltechnisch gehen die Episoden weitestgehend flüssig ineinander über und fügen sich so zu einem durchaus stimmigen Gesamtbild. Dies ist relativ verblüffend, hatten sich die vier Regisseure doch an gewisse "Spielregeln" zu halten: so waren alle Geschichten innert 24 Stunden vom Morgen des 1. Mais bis zu jenem des 2. Mais anzusiedeln; es musste 5 bis 8 Minuten an Außensets in Kreuzberg gedreht werden, natürlich während des 1. Mais; und diese Dreharbeiten waren ohne Abschottung und ohne Drehgenehmigung zu bewerkstelligen; inhaltlich mussten alle Geschichten einen Protagonisten beinhalten der unter einer persönlichen Drucksituation leidet und in den 1. Mai Krawallen ein Ventil für diese zu finden glaubt; schlussendlich mussten alle Episoden im bereits genannten Urbankrankenhaus, mit ernüchternden Erkenntnissen der Figuren enden.
Probleme ergeben sich bei 1. MAI also nicht innerhalb der Homogenität des Gesamtprojekts, sondern - wie so oft bei dieser Art von Film - durch die unterschiedliche Qualität der einzelnen Episoden. Während Ausflug bis auf wenige Momente wirklich ansehnlich inszeniert wurde, fallen Yavuz und vor allem Uwe dramaturgisch deutlich ab. So besitzt die Geschichte der zwei Möchtegern-Krawalltouristen einen relativ gut funktionierenden Spannungsaufbau, auch wenn dieser in einem vollkommen überpathetischen und unglaubwürdigen Finale mündet. Die Geschichte rund um den türkischen Jungen Yavuz dagegen ist zwar ergreifend, offenbart aber erhebliche erzählerische Schwächen, was sich als gewisse Unglaubwürdigkeit dieser pädagogisch konnotierten Episode auswirkt. Der Teil um den gehörnten Polizisten Uwe hat für mich salopp ausgedrückt weder Hand noch Fuß.
Bei der Figurenzeichnung wiederum verhält es sich interessanterweise genau diametral. So ist mit Yavuz (Cemal Subasi) eine mehrschichtige Figur entstanden, zu der man sich beim Zuschauen durchaus seine Gedanken macht. Und auch dem liebenswerten Uwe (Benjamin Höppner) folgt man gerne bei seinem Treiben innerhalb der sinnlosen Szenerie, auch wenn man nicht genau weiß, was er da eigentlich treibt. Jacob und Pelle (Jacob Matschenz und Ludwig Trepte) dagegen wirken unsympathisch, vor allem aber teilweise unmotiviert und offenbaren (vielleicht beabsichtigt) zu keiner Zeit um was für eine Art von Menschen es sich bei ihnen handelt. Bis auf ihre, zumindest auf Seiten von Pelle, übermäßig angedeutete Homosexualität besitzen sie kaum Tiefe und bleiben deshalb weitestgehend trist.
Insgesamt halte ich das Projekt trotz einiger Schwächen für durchaus gelungen, trotzdem hat mich 1. MAI - HELDEN BEI DER ARBEIT sehr enttäuscht. Das hat etwas mit geschürten, aber nicht erfüllten Erwartungen zu tun. Eigentlich, so dachte ich, sollte 1. MAI ein politischer Film sein, aber außer ein paar wenigen Klischees von linksautonomen Blockadenbauern finden sich kaum politische Statements in diesem Film - von politischem Tiefgang ganz zu schweigen. Hier hätte sich entweder angeboten, stärker auf Thematiken rund um die 1. Mai Krawalle einzugehen, oder aber die einzelnen Episoden als etwaige Ideologien suggerierend anzulegen. Ein in den Puff wollender Bulle; ein halbstarker türkischer Junge; ein alternder Postmarxist und zwei mehr oder weniger latent homosexuelle Kleinstadtburschen reichen dazu einfach nicht aus. Okay, das ist meine subjektive Meinung! 1. MAI ist eben ein reines Drama. Jedoch hätte man sich dann die gesamte Promotion (inklusive Trailer und visueller Gestaltung), vor allem aber den expliziten Untertitel sparen sollen.
Trotz der drei, unter verschiedenen "Spielregeln" entstandenen Storylines von 1. MAI (für ÖsterreicherInnen: 1. MAI - HELDEN BEI DER ARBEIT) bildet der Film eine relativ stimmige Einheit, die ihn nicht zerstückelt wirken lässt. Leider kann dies von der Qualität der einzelnen Episoden nicht behauptet werden. So sind es bei der einen die Figuren und bei den anderen die Erzählung welche Probleme bereitet. Trotzdem ist 1. MAI ein durchaus interessantes und sehenswertes Gemeinschaftsprojekt der vier daran beteiligten Regisseure. Meine eher verhaltene Bewertung resultiert deshalb weniger aus den Schwächen des Films, als vielmehr aus seinen geschürten aber nicht erfüllten Erwartungen.