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12 Years a Slave

12 Years a Slave

DRAMA: USA, GB, 2013
Regie: Steve McQueen
Darsteller: Chiwetel Ejiofor, Michael Fassbender, Lupita Nyong´o, Brad Pitt, Paul Dano, Paul Giamatti u.v.m.

STORY:

1841: Solomon Northup lebt im Bundesstaat New York, verdient mit dem Geige spielen seinen Lebensunterhalt. Er hat zwei Kinder und eine Frau - und er ist schwarz. Zwei Männer buchen ihn für einen geldbringenden Auftritt in Washington D.C. Sie feiern gemeinsam den Erfolg. Am nächsten Morgen wacht Solomon festgekettet auf. Von nun an ist er ein Sklave.

KRITIK:

Größtenteils bewirkt der Satz: "... es handelt sich um eine wahre Geschichte ..." zu Beginn eines Films bei mir den Effekt, dass sich meine Erwartungshaltung nach unten schraubt. Allerdings weiß ich bei 12 Years a Slave ja bereits, dass um eine wahre Begebenheiten geht - und dieses Thema ist auch heute noch hochaktuell, auch wenn die Geschichte schon mehr als 150 Jahre zurückliegt.

Tatsächlich ist meine Erwartungshaltung hier sehr hoch. Spätestens seit Shame bin ich ein bekennender Steve-McQueen-Fan. Shame war für mich der Film des Jahres 2012. Mit seinem dritten Kinofilm (Hunger, Shame) ist Steve McQueen nun tatsächlich in Hollywood angekommen, soviel kann ich schon mal sagen. Leider hatte ich genau diese Befürchtung. Allerdings kann in diesem Punkt entspannt aufatmen. Tatsächlich merkt man 12 Years a Slave diesen Aspekt schon etwas an, aber McQueen ist sich dennoch treu geblieben.

Auch in seinem dritten Film beschäftigt ihn wohl offenkundig das Thema Freiheit und der Verlust selbiger. Wie er selbst schon sagte: "In Hunger ging es um einen Mann ohne Freiheit, der seinen Körper als Werkzeug verwendete und mit diesem Akt Freiheit erlangte. Shame folgt einem Menschen, der all die Freiheiten des Lebens im Westen genießt und sich durch seine vermeintliche sexuelle Freiheit sein eigenes Gefängnis erschafft." Um es nun mit meinen eigenen Worten weiterzuführen: In 12 Years a Slave wird einem Menschen radikal die Freiheit genommen, menschenverachtend und bis aufs Äußerste widerwärtig zählt in dieser Welt ein Menschenleben nicht mehr als ein Stück Vieh - zumindest solange dieser Mensch schwarz ist. Das alles unter dem Deckmantel des Gesetzes und der Bigotterie.

Man tut sich immer leicht zu sagen: Ich hätte anderes gehandelt, wenn man sich nun in der komfortablen Position befindet, in einer anderen Zeit zu leben. Tatsächlich sind wir aber doch alle nur das Ergebnis unserer Umwelt. Prägnant vor Augen geführt wird einem die eigene Überheblichkeit schon im Kinosaal. Als das Publikum freudig aufschreit, als Solomon zurückschlägt und seinen Peiniger auspeitscht. Sicherlich ist diese Reaktion des Publikums schon nachvollziehbar, aber recht doppelmoralig ist sie nunmal auch.

In der Tat ist 12 Years a Slave eine qualvolle Erfahrung und manche Szenen sind nur schwer zu ertragen. Noch unerträglicher ist jedoch die Tatsache, wenn man an den Punkt gelangt, sich selbst zu hinterfragen. Allerdings denke ich, dass dies vielen Zusehern nicht gelingt, was die Reaktion auf den "Gegenschlag" beweist. Dabei liegt gerade darin die große Stärke des Films. Und ein großes Talent Steve McQueens!

Offenkundig ist Michael Fassbender McQueens erste Wahl was seine Filme betrifft. Und ich kann nur sagen: Zu Recht! Für mich zählt Fassbender zu den überzeugendsten und talentiertesten Schauspielern, die das Erzählkino momentan zu bieten hat. Ich will mehr von ihm sehen, ich will ihn in genau solchen Rollen sehen, wie hier als den brutalen Plantagenbesitzer Edwin Epps. An diesem Mann ist wahrlich nichts sympathisches und oberflächlich braucht der Zuseher solche Figuren. Meistens sind sie ja auch sehr platt und plakativ abgehandelt. Doch dieser Epps, der unglaublich gut von Fassbender verkörpert wird, ist eben auch nur die Summe seiner Teile. Er glaubt an das, was er da tut, er ist der festen Überzeugung, dass es Gottes Wille ist. Er lebt das! Keinerlei Zweifel blitzen in ihm auf, mit seinem Besitz kann er machen was immer er möchte. Und für seine Sklaven hat er bezahlt.

Doch auf der anderen Seite kann er sich doch nicht menschlichen Gefühlen entziehen, zumindest was die Sklavin Patsey (unglaublich eindringlich: Lupita Nyong´o) betrifft. Sie ist für ihn kein Objekt, das er besitzt, so möchte er es gerne, aber so ist es nicht. Und da fängt es an schwierig zu werden. Er kann ihre Gefühle nicht kontrollieren, nicht erzwingen und somit bestraft er sie. Er bleibt der Unsympath, ganz klar, aber in vielen kleinen Momenten erkennt man seine eigene Unzulänglichkeit und worauf dieser Charakter fußt.

Es ist eben nicht so einfach mit den Schubladen. Und glücklicherweise fällt Steve McQueen nicht in die Klischeefalle. Was auch der Charakter von Solomon beweist. Ihm gilt unsere Sympathie. Auf brutalste Art und Weise wurde er seinem Leben entrissen, aus den Armen seiner Frau und seiner Kinder, verschleppt, versklavt, misshandelt. Er ist ein guter Mensch. Er weiß was Recht und Unrecht ist. Meistens wissen es diejenigen, denen Unrecht widerfährt. Doch auch hier gibt es Schattierungen. Solomon lügt, unterwirft sich, handelt gegen seine Überzeugungen, schlägt Patsey und lässt sie schließlich zurück, um zu überleben. Was hättet ihr getan? Was hätte ich getan?

Kraftvoller als von Chiwetel Ejiofor könnte der Sklave Platt, wie er seit seiner Verschleppung genannt wird, nicht dargestellt werden. Was für eine Wucht, mit der dieser Mann spielt. Dabei sind es vor allem die ruhigen Momente, die einen voll treffen. In der Tat passiert in 12 Years a Slave immer genau in dem Moment wo nichts passiert, am meisten. Wenn die Kamera minutenlang auf Ejiofors Gesicht ruht, seinen Blick einfängt und wir uns in seinen Augen widerspiegeln, dann erlebt man ganz großes Kino! Chiwetel Ejiofor ist großartig in den ganz leisen Momenten, wenn er nur durch das Singen eines Liedes sämtliche Gefühle Platts von innen nach außen kehrt. Mit einem einzigen Gesichtsausdruck. Dafür hat er den Oscar wahrlich verdient!

Bis in die kleinsten Nebenrollen ist 12 Years a Slave fantastisch besetzt. Am schwächsten ist tatsächlich Brad Pitt als Samuel Bass, als der Hoffnungsschimmer, als der Mann der unter allen Unrechten richtig handelt. Ein interessanter Aspekt. Vielleicht wurde mir aber auch dieser Moment einfach nur durch die Mädels in der Reihe vor mir kaputt gemacht, die schrill aufschrien als Pitt auf der Leinwand erschien. Eigentlich hätte ich diese Gattung auch nicht in diesem Kinosaal erwartet, wo der Film im Originalton lief, sondern auf der gegenüberliegenden Straßenseite, im synchronisierten Film.

Sämtliche Gefühle fasst McQueen in Bilder, in warme, sonnendurchflutete Bilder, die diesem Elend gegenüberstehen. Sowohl Kameraarbeit als auch Schnitt sind mehr als überzeugend. Und lassen trotz der nicht ganz so radikalen Art wie in Hunger und Shame Steve McQueens Stil erkennen. Die Filmmusik ist wieder einmal grandios! Allerdings hatte ich ein kleines Problem damit, weil mich das Hauptthema stark an Shame erinnert und sich so in mir eingebrannt hat, dass ich teilweise dadurch aus dem Film gerissen wurde.

Eines hat sich ebenso eingebrannt. Die Erkenntnis egal wie viel Unrecht es auf dieser Welt gibt und egal wie übermächtig dieses ist, irgendwo gibt es einen Funken Hoffnung. Und wenn es nur ein einziger Mensch unter vielen ist, der selbstlos handelt. Dieser eine Mensch reicht oft, wie die Geschichte zeigt, um das Richtige zu tun. Dies ist eine sehr tröstliche Erkenntnis, die mir im Kino bewusst wurde. Aber dann kommt doch gleich wieder der Pessimist in mir durch, denn für wie viele Sklaven gab und gibt es diesen einen Menschen nicht ...

Also, wir wahrt man sein Gesicht, wie erträgt man unendliches Leid, wie handelt man richtig? Vielleicht indem man eine zeitlang jemand anderes ist, indem man Platt ist. Als Solomon nach Hause zurückkehrt und seinen Enkel in den Arm nimmt, der ebenfalls Solomon heißt, genau da wird aus Platt wieder Solomon, mit jeder Faser des Körpers von Chiwetel Ejiofor und dieses Erkennen ist so eindringlich, dass die Frau neben mir den Kinosaal verlässt, weil sie ihre Gefühle nicht länger verbergen kann.

12 Years a Slave Bild 1
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FAZIT:

Mit diesem Film ist Steve McQueen zwar nun tatsächlich in Hollywood angekommen, aber trotzdem bleibt er seinem Stil treu. 12 Years a Slave erzählt die Geschichte von Freiheit und das Verlieren Selbiger. Die Geschichte von Solomon Northup, der vom freien Mann zum Sklaven Platt wurde. Eindringlich und mit großartigen Schauspielern erzählt McQueen diese Geschichte, die auch heute noch aktuell ist. Fantastische Bilder, fantastische Musik, fantastische Schauspieler - ein fantastischer Film!

WERTUNG: 9 von 10 Seifenstücken
TEXT © Nicky
Dein Kommentar >>
Nobody | 03.03.2014 17:10
Das musikalische Hauptthema von Shame ist von Hans Zimmer's
Journey To The Line aus dem Film The Thin Red Line abgekupfert,
eigentlich fast identisch.
>> antworten
Valentin | 24.01.2014 16:49
Gute Kritik! Allerdings ein bisschen gar viel
gespoilert
...
nicky | 24.01.2014 16:51
Sorry, da hast du recht!
>> antworten
Johannes | 24.01.2014 13:09
>>Eigentlich hätte ich diese Gattung auch nicht in diesem Kinosaal erwartet, wo der Film im Originalton lief, sondern auf der gegenüberliegenden Straßenseite, im synchronisierten Film.<< Also sind die synchronisierten Fassungen für die Deppen und die O-Ton Fassungen für die coolen Leute? So kommt's imho rüber...
nicky | 24.01.2014 16:55
Na schmarrn, ich hätte nur die kreischenden Girls nicht im Originalton erwartet, sollte keine Wertung bezüglich deren Intelligenz sein! Aber offensichtlich waren sie zu 70 Prozent wegen Pitt im Kino und zu 30 wegen dem Film.
>> antworten
a-l-e-x | 24.01.2014 07:50
Tolle Besprechung, Nicky!

und Du hast vollkommen recht. Erschreckender Weise hat ein Teil des
Publikums, die große Chance zum Nachdenken, die ihm der Film
zweifelsohne gibt, leider nicht genutzt.
nicky | 26.01.2014 15:01
Dankeschön! Auch eine schöne kritik von dir!
>> antworten