ALTERNATIVTITEL: Swallowtail But, 1996
Regie: Shunji Iwai
Darsteller: Chara, Mickey Curtis, Yoriko Douguchi, Yosuke Eguchi
Yentown: So nennen die Japaner abfällig die Elendsviertel am Rande der Großstädte, in denen illegale Einwanderer, die mit der Hoffnung auf schnell verdiente Yen-Scheine ins Land kamen, vor sich hin vegetieren. In einer dieser Yentowns beginnt die Geschichte der chinesischen Prostituierten Glico, die sich mit Hilfe ihrer Freunde aus der Gosse zum gefeierten Popstar hoch arbeitet. Doch die Träume von Geld, Gold und Glück platzen schnell ...
KRITIK:Letztes Wochenende hatte ich eine Diskussion mit einer Freundin, die mein Faible für japanisches Kino nicht unbedingt teilt - und es auch nicht nachvollziehen kann.
Zu krass, zu extrem, zu bizarr empfinde sie das Filmschaffen aus dem Land der aufgehenden Sonne.
Da ist natürlich was dran, wie wir geneigte Fans von Takashi Miike, Takeshi Kitano und Konsorten wissen *g*
Ich habe mir lange überlegt, ob ich ihr das 1996 gedrehte, allerorts in den höchsten Tönen als "Meisterwerk der modernen Filmkunst" (ofdb.de) gelobte Epos Yentown (schönerer Alternativ-Titel: Swallowtail Butterfly) als Einstiegsdroge in die Welt das japanischen Kinos empfehlen könne.
Ich bin mir nicht sicher ...
Dabei hat der Film alles, was brillantes Kino ausmacht:
Über die 140 Minuten Laufzeit kommt keine Sekunde Langeweile auf; der Film entfaltet eine Sogwirkung,
der man sich nicht entziehen kann. Im Grunde wird eine klassische "Rise and Fall"-Geschichte erzählt:
Die Protagonisten versuchen, sich mit aller Kraft aus dem Elend, das sie umgibt, zu befreien.
Doch der schnell - und selbstredend illegal - erworbene Reichtum ist trügerisch: Die Seifenblasen-Träume platzen, eine Abwärtsspirale aus Geldgier, Verrat und Gewalt und Brutalität setzt sich in Gang. Happy End ausgeschlossen.
Großes Kino ist also angesagt, mit einer epischen, vielschichtigen und äußerst dramatischen Story, charismatischen, enorm präsenten Darstellern, jeder Menge unerwarteten Wendungen, echten Gänsehaut-Momenten und visuellem Eye-Candy satt.
Wobei der letzte Punkt m.E. nicht nur Anlass zur Freude liefert: Der etwas aus der Mode gekommene Geist der Neunziger-MTV-Ästhetik (= hektische Handkamera, exzessiver Einsatz von Farbfiltern und Gegenlicht) scheint nämlich durch jede Szene. No na, möchte man einwenden, es handelt sich auch um einen Film aus den Neunziger Jahren. Anno 1996 waren diese Stilmittel auch State of the Art. Doch Anno 2007 wirken sie zumindest für meinen Geschmack etwas überholt.
Natürlich kann man dem Regisseur, der vor Swallowtail Butterfly seine Brötchen mit - erraten - Videoclips verdient hat, keinen Vorwurf machen, dass sein Film erst mit zehnjähriger Verspätung dem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht wird.
Was m.E. schwerer wiegt, ist die Zerrissenheit des Films: In seinem Drang, möglichst alle Tragik dieser Welt in seinen Debüt-Film zu packen, kann sich der Regisseur nicht wirklich entscheiden: Swallowtail Butterfly ist ein poetisches, bildgewaltiges Drama mit sozialkritischen Untertönen, ein harter Yakuza-Thriller, überdrehter Actionreißer und auch noch Musikfilm in einem. Ein bisschen viel auf einmal, selbst für 140 Minuten Laufzeit.
Und noch etwas: Ich bin nun wirklich kein kleinlicher "Nach-Logiklöchern-in-der-Handlung"-Sucher. Aber wie man eine Kassette, die eben einem toten Yakuza aus den Eingeweiden gekratzt wurde (sehr "geschmackvolle" Szene übrigens), Sekunden später problemlos im Autoradio abspielen kann, übersteigt mein technisches Vorstellungsvermögen.
Wo sehr viel Licht ist, fallen auch kleine Schatten auf: Yentown a.k.a Swallowtail Butterfly ist ein episches, dramatisches und bildgewaltiges japanisches Epos, das sich beim Versuch, verschiedenste Genres unter einen Hut zu bringen, doch ein wenig überhebt. Dennoch ein absolutes Muss für Fans des japanischen Kinos. Als Einstiegsdroge für Unbedarfte jedoch nur bedingt geeignet.