HORROR/TRUE CRIME: HK, 1992
Regie: Herman Yau
Darsteller: Anthony Wong, Emily Kwan, Danny Lee
Gegen ihn ist Hannibal Lecter ein harmloser Küchengehilfe: Wang hat aus Geldgier eine ganze Familie ermordet, in Stücke gehackt und zu leckeren Fleischbällchen verarbeitet, weshalb sich sein kleines Restaurant am Strand von Macao begeisterten Zuspruchs erfreute. Die Geschäfte liefen prima - bis dem Killerkoch ein folgenschwerer Fehler unterlief: Als er eines Tages Leichenteile leichtsinnigerweise im Meer entsorgte (anstatt sie durch den Fleischwolf zu drehen), kam ihm die Macao Police auf die Schliche...
KRITIK:... und mit der ist nicht zu spaßen: Gleich zu Beginn erteilen ihm die Cops, ein geradezu grotesk fauler, kindischer und inkompetenter Haufen, eine Lektion in Sachen professioneller Polizeiarbeit: Um der freundlich vorgetragenen Bitte, verdammt nochmal endlich zu gestehen, etwas Nachdruck zu verleihen, wird der Mordverdächtige erst mal durchs Kommissariat gestiefelt, dass kaum ein Knochen heil bliebt.
Doch unser (Anti-)Held zeigt sich wenig kooperativ - und empfiehlt den Cops, sich ins Knie zu f**ken.
Diese Aufforderung wird jedoch nicht beherzigt - wohl auch, weil der Chefbulle Mr. Lee (gespielt von Danny Lee aus John Woos The Killer) jeden Tag in Begleitung einer anderen Prostituierten aufs Revier kommt. Wir merken schon, dieser Mann weiß um die Wichtigkeit eines angenehmen Betriebsklimas!
Alles andere als angenehm sind jedoch die Haftbedingungen im Gefängnis, in das der "Restaurantmörder" überstellt wird - praktischerweise in die selbe Zelle, in der ein Verwandter der ermordeten Familie einsitzt. Was dann folgt, könnte man schmerzhafte Kartharsis nennen. Der Killerkoch wird vor den Augen der grinsenden Wärter halb tot geprügelt.
Doch so schnell gibt ein Killer-Koch nicht auf: Unser Held hält einem Mithäftling einen Kaffeebecher hin, mit der Aufforderung: "Piss da rein!" Der sichtlich verdutze Knacki-Kollege tut wie ihm geheißen - und traut seine Augen kaum, als der schwerverletzte Killer den Becher an den Mund führt und zu trinken beginnt.
Schließlich - Zitat - "steht doch in jedem Medizinbuch, dass Urin innere Verletzungen heilt".
Tja, die traditionelle chinesische Medizin...
Als der Heilungserfolg jedoch ausbleibt, muss Plan B her: Der Killer versucht, sich die Pulsadern durchzubeißen (!), um seine Schmerzen für immer zu lindern. Er wird ins Hospital eingeliefert - wo sein Martyrium erst wirklich beginnt.
Im Verlauf der nun folgenden - ähm - unorthodoxen - Verhörmethoden, bei der wirklich keine sadistische Grausamkeit seitens der Polizei ausgelassen wird, gehen plötzlich die Emotionen mit der einzigen weiblichen Polizeikraft durch: "Warum läuft alles in der Welt falsch? Warum empfinde ich Mitleid mit einem Mörder?" fragt die Frau.
Für ihre männlichen Kollegen ist der Fall klar: "Du müsstest nur mal wieder richtig gebumst werden".
Ja, meine Herrn, genau DAS möchten Frauen in emotional belastenden Situationen hören...
Der aufmerksame Leser wird vielleicht bemerkt haben: Die Hongkonger Filmindustrie ist nicht gerade für ihre Subtilität bekannt. Der Mix aus infantiler Komik und rohester Gewalt, der hier serviert wird, mutet für europäische Augen einigermaßen verstörend an. The Untold Story kam 1992 in die Hongkonger Kinos - zu einem Zeitpunkt, als die kreativeren Genre-Fachkräfte der Kronkolonie (etwa John Woo, Tsui Hark und Ringo Lam) gerade nach Hollywood emigriert waren.
Die Lücke, die diese Kreativ-Köpfe hinterließen, wurde mit billig produzierter Exploitationware gefüllt, die sämtliche Tabus brach und alle erdenklichen Geschmacksgrenzen sprengte. Mit heftig umstrittenen Werken wie Men behind the Sun, Ebola Syndrome und eben The Untold Story wurde in Hongkong ein neues Genre geschaffen: CAT III, benannt nach der höchsten Kategorie des Jugendverbots.
The Untold Story wird seinem Ruf als einer der krassesten Filme, die die an krassen Filmen nicht gerade arme Hongkonger Filmindustrie je hervorgebracht hat, vollauf gerecht: Ohne jetzt ins Detail gehen zu wollen, bewegen sich die Gewaltszenen auf einem Level, bei dem man sich doch fragt, warum man sich das eigentlich ansieht. Vielleicht als Meditation über den eigenen inneren Schweinehund, der halt gerne grenzwertiges "violent entertainment" konsumiert? Oder doch auch aus soziologischem Interesse? Fakt ist jedenfalls, dass der Film, der selbst vor Kinder-Morden nicht halt macht, in Hongkong zu einem Klassenschlager wurde.
Tatsächlich bietet The Untold Story etwas mehr als nur kalkulierte Tabubrüche und selbstzweckhafte Gewaltexzesse: Anthony Wong, einer der populärsten HK-Schauspieler, wurde für seine durchaus einprägsame Darstellung des psychopathischen Killers 1992 mit dem Hongkong-Award ausgezeichnet. Und wer weiß, vielleicht hat Regisseur Herman Yau ja eine schwarze Komödie im Sinn gehabt, in die man mit etwas Phantasie auch gesellschafts- bzw. systemkritische Ansätze hineininterpretieren kann. Angeblich soll die Story ja auf Tatsachen basieren...
Ein chancenreicher Anwärter auf den Titel "kränkster Film aller Zeiten":
Zwischen galliger Komik und rohester Gewalt pendelnd, lässt die HK-Produktion The Untold Story wirklich nichts aus.
Gegen Anthony Wang als psychopathischen Killer-Koch, der seine Opfer zu leckeren Dim Sum-Bällchen verarbeitet, wirkt Hannibal Lecter wie ein harmloser Küchengehilfe...
In diesem Sinne: Mahlzeit!
Die ungekürzte DVD gibt's um 9,90 bei Saturn...