DRAMA: FRANKREICH, 1950
Regie: Jean Cocteau
Darsteller: Jean Marais, Francois Perier, Maria Casares, Marie Dea
Orphée ist anerkannter und erfolgreicher Schriftsteller im Paris der 50er Jahre und wird als solcher von der Avantgarde als "Kommerzvertreter" geschmäht. Als vor seinen Augen ein junger Poet zu Tode kommt folgt er dessen sehr hübscher Begleiterin, die ihn vom ersten Moment an sehr fasziniert hat, ohne zu ahnen, dass sich hinter der vermeintlichen Prinzessin der leibhaftige Tod verbirgt....
KRITIK:Regisseur Jean Cocteau meinte, er sei ein Dichter, der die Kamera als Vehikel benutze um es allen zu ermöglichen ein und denselben Traum zu träumen. Der Traum als Variation der Realität, als metaphorische Annäherung an die Wirklichkeit.
Cocteaus Regie schwebt mit traumwandlerischer Sicherheit durch traumhafte Bilder und einer traumlogischen Handlung, die gemessen an heutigen Moralvorstellungen geradezu unverständlich ist. Aber das Hauptthema ist geradezu perfekt gewählt um menschenverachtend kompromisslos Ideen und Poesie hinterher zu jagen: Es ist das Verhältnis zwischen dem Künstler und seinem Werk.
Also träumt Cocteau seinen Lieblingstraum, die Sage von Orpheus und Eurydike, die er in seinem schmalen filmischen Opus von gerade einmal 12 Werken gleich dreimal bearbeitet bzw. adaptiert hat.
Die Geschichte handelt vom Künstler Orpheus, der so sehr in seine Kunst verliebt ist, dass er nicht mitbekommt wie seine Frau Eurydike stirbt. Also macht er sich auf den Weg in die Unterwelt um sie wiederzuholen. Seine Bitte wird ihm gewährt, jedoch unter der Bedingung, dass er sich nicht umdrehen darf um sie anzusehen, da sie ansonsten für immer in der Unterwelt bleiben müsse.
Cocteau nimmt diesen Stoff und erzählt ihn im Literatenmilieu im Nachkriegsparis der 50er Jahre. Orphée wird als aufbrausender, selbstverliebter Künstler (dargestellt von Cocteaus Liebhaber und Lieblingshauptdarsteller Jean Marais) gezeichnet, der von seiner häuslichen, weinerlichen und auch noch schwangeren (also alles in allem für meinen Geschmack etwas zu traditionell und schwach portraitierten) Ehefrau Eurydike genug hat und sich in eine Affäre mit dem Tod stürzt.
Es soll dies wohl eine Metapher auf einen zwischen kompromisslosem Willen zur Kunst und Todestrieb gebeutelten Künstler sein, der sich in seiner eigenen Traumwelt verliert.
Leider bleibt der Film dabei etwas an der Oberfläche stecken, sodass ihm seine surrealen Entgleisungen mehr schaden als nützen, weil man sich ständig entscheiden muss, ob man nun ein harmloses Fantasyabenteuer oder eine schwer zu deutende Künstlerparabel sieht.
Faszinierend sind aber die naiven visuellen Effekte, die trotz leichter Durchschaubarkeit für große Freude sorgen und die Einblicke in die Realitäten des Pariser Lebens um 1950.
An dem Film kann man sich wohl genauso spießen wie an Cocteau selbst, von dem man sich niemals sicher war, ob er Genie oder Dilettant war, wobei er sich selber immer unzweifelhaft als ersteres sah. Und genau diesen gleichzeitig sympathischen wie anstrengenden Größenwahn, merkt man dem Film auf jedem Meter an. Nicht umsonst gilt er als Cocteaus am meisten überschätztes Werk.
Genie oder Wahnsinn, Realismus oder Fantasie, kompromisslose Kunst oder Leben mit beiden Beinen am Boden,
die wirkliche Welt oder doch das Reich der Toten, Jean Cocteau das Genie oder doch Jean Cocteau der Schaumschläger,
Orphée das Meisterwerk oder doch Orphée die Enttäuschung....?
Viele Fragen und schon wieder keine Antworten, da man ein Monument von Haus aus ungern beschädigt und es sogar noch schwieriger ist,
wenn es sich seinen Anspruch auf seinen Status durch einen Verweis auf den Surrealismus immunisiert hat.
Als Kritiker kann man da nur die Waffen strecken...
P.S.: Erschienen ist dieser Film in der Jean Cocteau Edition, die auch das Familiendrama "Die schrecklichen Eltern" und das Königinnendrama "Der Doppeladler" enthält.