OT: Mais ne nous délivrez pas du mal/Don't Deliver Us from Evil
HORROR: F, 1970
Regie: Joël Séria
Darsteller: René Berthier, Gérard Darrieu, Bernard Dhéran
Die beiden 14-jährigen Mädchen Anne und Lore beschließen in den Sommerferien dem Guten abzuschwören und ihr Leben Satan und dem Bösen zu weihen. Was als kindlich - naives Spiel beginnt, führt zu immer perfideren Taten und letztendlich zu Mord ...
UND ERLÖSE UNS NICHT VON DEM BÖSEN / DON`T DELIVER US FROM EVIL war in mehreren Ländern, unter anderem auch in seinem Herkunftsland Frankreich, lange Jahre mit einem Totalverbot belegt. Die Begründung: Blasphemie.
Und in der Tat kommt der ganz lose auf einem wahren von zwei Teenagermädchen begangenen Verbrechen basierende Plot wie eine Mischung aus einer Girlie-Version von Buschs Max und Moritz und Huysmans berüchtigten, ebenso wie dieser Film unverhohlen dem Satanismus frönenden Buch Tief unten daher.
Versehen ist das Ganze mit einer nie expliziten, aber doch mehr als gewagten Ladung Lolita-Sex. Und genau der macht UND ERLÖSE UNS NICHT VON DEM BÖSEN zu einem extrem kontroversen Werk.
"Und führe uns jetzt in VersuchungÂ…", bitten die beiden Mädchen in einer Szene ihren infernalischen Meister, während sie völlig nackt unter ihren durchscheinenden Kommunionskleidchen vor einem Altar knien. Doch zuvor führen sie mit ihren knospenden Reizen unschuldig-verspielt erst einmal die Männerwelt in Versuchung. Und natürlich treffen sie auf genügend erwachsene Männer - Dreckschweine trifft es genauer -, die diesen Lockungen nur zu gerne erliegen.
Gerade diese sexuell motivierten Szenen sind es, die recht schockierend sind, denn die beiden (absolut genial spielenden) Darstellerinnen Goupil und Wagener, die im Film die minderjährigen Hauptprotagonistinnen mimen, sehen wirklich verboten jung und wirklich keinen Tag älter als 14 aus.
Doch um die Gemüter, die hier Kinderpornographie wittern, zu beruhigen, sei gesagt, dass die beiden Schauspielerinnen damals beim Dreh schon zwanzig Jahre alt waren. Trotzdem schwächt dieser Fakt die verstörende Wirkung nur marginal ab, denn das Tabu wird hier nicht nur gestreift, sondern in tausend Stücke zerbrochen.
Allerdings wäre ein Verbot lächerlich, wenn man es allein an den Lolita-Szenen festmacht. Schließlich gelten in der "seriösen" Filmwelt Streifen wie LOLITA oder DER LIEBHABER, die ebenfalls Sex mit Minderjährigen beinhalten und diesen dabei weitaus mehr glorifizieren als erotische Meisterwerke.
Es muss also an der zweiten großen Kontroverse liegen, dass man Sérias Erstling in Acht und Bann geschlagen hat. Und das ist der unverhohlene Abscheu gegenüber Kirche und Religion und der deutlich spürbaren antichristlichen Grundhaltung des Films, der keine Gelegenheit auslässt, den heuchlerischen Klerus zu entlarven.
Doch UND ERLÖSE UNS NICHT VON DEM BÖSEN ist alles andere als plumpe Provokation. Die merkwürdige Geschichte zweier alleingelassener Mädchen, die das Böse buchstäblich als "Kinderspiel" sehen und mehr und mehr in einer gefährlichen Scheinwelt versinken, berührt in seiner tieferen Tragik und macht nachdenklich.
Nicht zuletzt, wenn das Spiel am Ende eskaliert und in der bitteren, auswegslosen Realität endet. Nicht nur die Story, auch die filmische Umsetzung ist erstklassig. Eine gediegene Inszenierung und eine wunderbare Fotografie verleihen dem Werk eine seltsame, lyrische Schönheit. Sérias Bildersprache ist so perfekt und faszinierend wie jene der Meister Mario Bava, Pupi Avati oder eines Jean Rollin in seinen großen Momenten.
Schulmädchen, die satanische Glaubensbekenntnisse rezitieren und sich vor erwachsenen Schäfern entblößen... Kein Film für jedermann - ganz sicher nicht. Doch wer sich auf etwas, das weit abseits der Genrekonventionen liegt, einlassen kann, der wird mit einer unglaublich schönen wie zeitlos provokanten Perle des Horrorfilms belohnt.
Eine wunderschöne DVD mit einem ausführlichem, sehr poetischem Booklet ist dieser Tage bei BILDSTÖRUNG erschienen.