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Das Cabinet des Dr. Caligari

Das Cabinet des Dr. Caligari

HORROR: DEUTSCHLAND, 1920
Regie: Robert Wiene
Darsteller: Werner Krauss, Conrad Veidt, Lil Dagover, Rudolf Klein-Rogge

STORY:

Dr. Caligari ist ein geheimnisvoller Reisender mit einer Attraktion, welche in einer deutschen Kleinstadt für Aufruhr sorgt. Er stellt einen Somnabulen vor, der seit 23 Jahren schläft und angeblich in die Zukunft schauen kann. Zwei Freunde, die den Jahrmarkt besuchen, sind gefesselt, und einer fragt das Medium, wie lange er noch zu leben hat. Die Antwort "Bis zum Morgengrauen" wird am nächsten Morgen grauenvolle Realität. Und es bleibt nicht der letzte Mord ...

KRITIK:

Wenn es so etwas wie einen Urknall des Horrorfilms gibt, dann ist es CALIGARI. Zwar flimmerten auch schon vorher ein paar kurze, horrible Geschichten durch die Filmgeschichte, aber sie dienten nur dazu, das Publikum kurz zu erschrecken, nicht jedoch, es dauerhaft zu verstören. Erst mit CALIGARI wird die Leinwand dämonisch. Das ist umso erstaunlicher, als es sich hierbei um einen deutschen, mit deutlich begrenzten Budget und in knapp 10 Tagen abgedrehten Film handelt. Die Deutschen hatten den wahren Horror des Ersten Weltkriegs gerade erst überstanden, als ein neues Monster für Angst und Schrecken, aber auch für eine unglaubliche künstlerische Entfaltung des deutschen Films sorgte. CALIGARI ist damit gleichzeitig der Grundstein für die Blütezeit des deutschen Films, die erst mit Hitler brutal ausgeblutet wurde.

CALIGARI wurde zwei von jungen Autoren der gerade untergegangenen k.u.k-Monarchie geschrieben, dem Österreicher Carl Mayer und dem Tschechen Hans Janowitz, und sie verstanden ihr Werk als Verbildlichung und durchaus auch als Kritik am blinden Gehorsam und seiner Folgen, denn natürlich steht Caligari selbst für den Befehlsgebenden und sein Medium für sein Werkzeug, das die Drecksarbeit erledigt. Inszenieren sollte es Fritz Lang, ebenfalls Österreicher. Der jedoch war verhindert, weil er den zweiten Teil des Abenteuerfilms DIE SPINNEN drehen sollte. So kam es dazu, dass der etwas biedere Handwerker Robert Wiene Regie führte.

Der vermeintliche Nachteil eines eher schwachen Regisseurs sollte sich für CALIGARI jedoch zum Glücksfall entwickeln, denn Wiene setzte weder Kamera noch Schauspieler besonders in Szene, sondern verließ sich ausschließlich auf die Wirkung der expressionistischen Dekors. Alles an CALIGARI ist bewusst überzeichnet und nicht realistisch, das Äußere soll nur dem inneren Kern entsprechen. Da sitzen die Beamten der Stadt im wahrsten Sinne des Wortes auf hohen Podesten, es findet sich im ganzen Film nicht ein rechter Winkel, vielmehr sind die Dächer spitz zulaufend und bedrohlich eng, die Brücken haben unnatürliche Kurven, die Bäume sind nicht mehr als auf Leinwand gezeichnete Striche, und im Hof der Nervenheilanstalt und Machtzentrum Caligaris sind Licht und Schatten exakt umgekehrt, als ob der Negativfilm nicht in ein Positiv umgewandelt wurde.

CALIGARI ist gerade durch seine bewusste Künstlichkeit zeitloser als viele andere Stummfilme, zudem ist sein Einfluss auf den klassischen Horrorfilm nicht hoch genug einzuschätzen. Bis heute, 90 Jahre nach seiner Entstehung, übt er immer noch eine Faszination aus, der man leicht verfällt. Leider gibt es ausgerechnet von diesem absoluten Filmklassiker bis heute keine deutsche DVD-Edition. Dabei liegt der Film seit langem in einer vom Bundesdeutschen Filmarchiv restaurierten Fassung vor, die jedoch ist ausschließlich im Ausland erhältlich und hat dementsprechend fremdsprachige Zwischentitel, nur die spanische Divisa-DVD scheint es bei den original deutschen Titeln zu belassen.

Wer den Aufwand scheut und den Film überhaupt erst mal kennen lernen möchte, wird im Public-Domain-Sektor zwar schnell fündig, leider wird jedoch die dort angebotene Qualität den Ansprüchen des Films überhaupt nicht gerecht: die ursprüngliche Aufnahmegeschwindigkeit wird ignoriert und dadurch rund 20 Minuten zu schnell wiedergegeben, außerdem fehlen die charakteristische Viragierung und vor allem die kunstvollen Zwischentitel. Jedoch hat eine Künstlergruppe unter dem Titel "An Exquisite Corpse" sich der Public-Domain-Fassung angenommen und die Fehler, soweit es das Material noch zuließ, korrigiert, außerdem stehen zwei verschiedene, durchaus anspruchsvolle Soundtracks zur Verfügung. Das Ergebnis ist zwar von einer Idealfassung immer noch weit entfernt, vermittelt aber eine Ahnung dessen, welche Faszination von CALIGARI ausgehen kann.

Das Cabinet des Dr. Caligari Bild 1
Das Cabinet des Dr. Caligari Bild 2
Das Cabinet des Dr. Caligari Bild 3
Das Cabinet des Dr. Caligari Bild 4
Das Cabinet des Dr. Caligari Bild 5
Das Cabinet des Dr. Caligari Bild 6
Das Cabinet des Dr. Caligari Bild 7
FAZIT:

Bizarre Gestalten in einer noch bizarreren Welt. Schattenspiele, spitze Dächer, schlafende Monster, unschuldige Opfer, horrible Ärzte, kunstvolle, aber absolut künstliche Szenerien. Deutschland träumt alp, und Dämone erobern die Dunkelheit der Kinos: "DU MUSST CALIGARI WERDEN!"

WERTUNG: 10 von 10 tödlichen Prophezeiungen
TEXT © Marcel
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Dein Kommentar >>
a-l-e-x | 18.11.2014 09:28
Wenn auch schon länger her - danke lieber Marcel für diese
äußerst gelungene Besprechung des Caligaris.

Dieser Film stellt nicht nur den Auslöser eines Genres dar, sondern
ist auch auf anderer Ebene für die Filmwissenschaften als äußerst
wertvoll einzustufen. Dies beweist nicht zuletzt Siegfried Kracauers
filmsoziologische Studie "Von Caligari zu Hitler".

Mit Kracauer möchte ich für alle die es interessiert hier nur
anmerken, dass das von Wiene verwendete, ein verändertes
Drehbuch war. Ursprünglich war der Direktor sehr wohl als Dr.
Caligari gedacht, der seinen Patienten Cesare missbraucht und
nicht als eine Wahnvorstellung von Francis. Laut Kracauer wird so
die politische Ausrichtung des Films verändert. Während Cesare
ursprünglich ein Mann aus dem Volke darstellt, der sich
unweigerlich einer Staatsautorität (Caligari) zu beugen hat, passiert
im realisierten Film das Gegenteil. Während Francis im Drehbuch
noch als Kämpfer gegen diese Autorität erscheint, wir er durch die
Darstellung des vermeintlichen Caligaris (Anstaltsdirektor) als
Heilsbringer, zu dessen Widersacher verkehrt und des Wahnsinns
bezichtigt.

Laut Kracauer wird so ein revolutionärer Film zu einem
konformistischen gewandelt...
Marcel | 18.11.2014 10:01
Die Interpretation Kracauers ist inzwischen historisch überholt. Vor allem seitdem das Originaldrehbuch aufgetaucht ist und man dort nachlesen kann, dass auch dort schon eine Rahmenhandlung vorhanden ist. Es setzt 20 Jahre später ein, Francis ist bürgerglich und verheiratet. Konformistisch also...
a-l-e-x | 19.11.2014 09:03
Danke für den Hinweis, Marcel - der ja sogar auf wiki nachzulesen
ist.

Da hätte ich wohl recherchieren sollen, bevor ich Kracauer zitiere.
Dann vergessen wir die Interpretation Kracauers schnell wieder
und einigen uns trotzdem darauf (?!), dass schon aufgrund dieses
Diskurses "Caligari" von großem Wert für die Filmwissenchaften
ist...
>> antworten
Chris | 04.08.2010 18:15
Schöne Review! Besonders dein Satz mit dem "Urknall des Horrorfilms" hat mir gut gefallen. Heutzutage wird ja gern über den deutschen Horrorfilm per se gelästert, aber gerne vergessen, dass seine Wiege in Deutschland steht; oder die Spötter haben es nie gewußt, weil ihrer Meinung nach, der erste deutsche Horrorfilm BLACK PAST von Olaf Ittenbach ist... ; )
>> antworten