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The Bikeriders

The Bikeriders

DRAMA: USA, 2024
Regie: Jeff Nichols
Darsteller: Austin Butler, Jodie Comer, Tom Hardy, Michael Shannon, Toby Wallace, Norman Reedus

STORY:

Chicago, Mitte der Sechziger: Ein paar Typen, Working-Class allesamt, die auf speckige Lederjacken und röhrende Motoren stehen, gründen einen Biker-Club. Vandals heißt er, und er wird bald größer - und gefährlicher. Als Benny (Adam "Elvis" Butler) bei einer Schlägerei mit einer gegnerischen Gang übel zugerichtet wird, muss Präsident Johnny (souverän: Tom Hardy) beweisen, dass man sich mit den Vandals nicht ungestraft anlegt. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive von Kathy (Jodie Comer), die sich in den sexy Outlaw Benny Hals über Kopf verliebt hat und nun um sein Leben fürchtet.

KRITIK:

Fußball-EM und Donauinselfest. Da hat man den Kinosaal quasi für sich alleine. Was aber schade ist: Denn THE BIKERIDERS, der neue Film des spitzenmäßigen und trotzdem relativ wenig bekannten US-Regisseurs Jeff Nichols (MUD, TAKE SHELTER, MIDNIGHT SPECIAL) hätte sich mehr als die gezählten fünf zahlenden Besucher in einer Samstag-Abend-Vorstellung verdient.

Und man versteht auch die Verleihpolitik nur bedingt: THE BIKERIDERS ist alles andere als ein massentauglicher Blockbuster. Und dennoch läuft er momentan in 14 Wiener Kinos (zum Vergleich FURIOSA: 9, ALLES STEHT KOPF 2: 11), flankiert von einem reißerischen Trailer, der ein Action-Spektakel irgendwo zwischen SONS OF ANARCHY (keine Ahnung, hab ich nie gesehen) und HARLEY DAVIDSON AND THE MARLBORO MAN suggeriert.

Tatsächlich könnte ich mir einfachere Aufgaben vorstellen, als einen Biker-Film zu vermarkten, der eigentlich sehr wenig Action hat, der auch keinem linearen Plot folgt, aber trotzdem extrem viel erzählt, von gebrochener Männlichkeit, Zeitgeschichte und Popkultur nämlich. Und der vor allem auf einem Fotobuch basiert. Der Film wurde inspiriert von einem gleichnamigen Fotoband aus dem Jahr 1968. Ein junger Fotograf namens Danny Lyon portraitiert darin die Mitglieder eines Motorrad-Clubs aus Chicago, in eindrucksvollen Schwarzweiß-Bildern, die im Abspann des Films gezeigt werden.

Dass ein Film, der auf einem Fotoband basiert, ausgezeichnet fotografiert ist, versteht sich wohl von selbst. Die Bilder, der Style, der Sound, die authentischen Kostüme, das ist alles unglaublich toll und mitreißend. THE BIKERIDERS ist einerseits eine akribische und detailverliebte Verneigung vor den ikonischen Biker-Filmen des New Hollywood (EASY RIDER, THE WILD ANGELS, ELECTRA GLIDE IN BLUE und wie sie alle heißen), und gleichzeitig ein zeitgemäßes Update: Popkino, Gegenkultur-Portrait, Zeitgeschichte-Crashkurs und Charakterdrama in einem.

Die Schauspieler sind bis in die Nebenrollen sensationell gut gecastet: Allen voran natürlich King of Cool Tom Hardy, herausgefordert vom Austin Butler, mit einer sexy Präsenz irgendwo zwischen Elvis und dem jungen Johnny Depp. Jeff Nichols Stamm-Schauspieler Michael Shannon darf nicht fehlen, Toby Wallace spielt einen creepy Nachwuchs-Gangster, und Norman Reedus (reich und berühmt geworden mit THE WALKING DEAD) schaut hier auch vorbei und präsentiert die krasseste Faule-Zähne-Prothese der jüngeren Filmgeschichte. Die Britin Jodie Comer, mir bislang unbekannt, bringt den weiblichen Blickwinkel ein. Die Geschichte wird nämlich aus der Perspektive von Kathy, der Frau an der Seite des sexy Outlaws Benny erzählt.

Und die etwas streng nach Bier, Zigaretten, Benzin und verschwitzen Lederjacken riechende Männerwelt ist gar nicht so hermetisch, wie es den Anschein hat. Wie Pia Reiser im FM4 Film Podcast so treffend anmerkt, veranstalten diese Biker-Jungs etwas, was es sonst nur in Jane Austin-Verfilmungen gibt: Sie machen Picknicks mit ihren Familien. Ja, natürlich fließt das Bier in Strömen, die Motoren dröhnen, Auseinandersetzungen werden schnell mit Fäusten ausgetragen, aber im Großen und Ganzen sind das harmlose, tendenziell konservative Working-Class-Dudes mit Family-Values.

Der Film dokumentiert auf fesselnde Weise, wie sich das über die Jahre ändert, wie sich alles schleichend radikalisiert, wie die Gangs immer gewalttätiger und krimineller werden, wie die Gegenkultur-Ideale zerbröseln, wie alles den Bach hinunter geht, mit dem Vietnamkrieg als dem großen Einschnitt, der alles verändert.

The Bikeriders Bild 1
The Bikeriders Bild 2
The Bikeriders Bild 3
The Bikeriders Bild 4
The Bikeriders Bild 5
FAZIT:

Ein Biker-Film des superguten US-Autorenfilmes Jeff Nichols (TAKE SHELTER, MIDNIGHT SPECIAL), sensationell gut besetzt und fotografiert (no na, wenn der Film auf einem Fotoband basiert). Ist natürlich kein Blockbuster, wird aber irritierenderweise als ein solcher vermarktet. Ich fand THE BIKERIDERS jedenfalls großartig und lege Euch einen zeitnahen Kinobesuch dringend nahe.

WERTUNG: 8 von 10 Biker-Kutten, die man niemals abnimmt
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